Zivilprozesse dauern häufig viel zu lange
Es kommt vor, dass man bei einem Landgericht mehrere Jahre auf ein Urteil warten muss. Ich bearbeite z.B. gerade einen Verkehrsunfall aus dem September 2011, ein Urteil ist nicht vor 2015 zu erwarten. Im Grunde ist eine derartige Prozessdauer für alle Beteiligten unzumutbar. Es stellen sich Fragen, ob man das Auto reparieren und dabei die Unfall- und damit Beweisspuren vernichten darf, ob man es verkaufen kann oder wie die Beweischancen aussehen, wenn sich Zeugen nach Jahren nicht mehr an Einzelheiten des Unfalls erinnern können,
Nachdem meine Klage im August 2012 (!) nach einem vorausgegangenen Prozesskostenhilfeverfahren rechtshängig geworden war, d.h. nachdem die Gegenseite die Klage vom Gericht zugestellt erhalten hatte, wurde ein Verhandlungstermin auf den 25. 2. 2013 anberaumt. Am Morgen des 25. 2. 2013 erreichte mich ein Telefonanruf des Gerichts, in dem mir mitgeteilt wurde, die Richterin sei krank, der Termin fände deshalb nicht statt. Als ich am 15. 3. 2013 die Ladung zu einem neuen Termin erhielt, glaubte ich, meinen Augen nicht trauen zu können. Der neue Termin sollte erst am 9. 9. 2013 stattfinden, 6 Monate nach dem zunächst vorgesehenen.
In der Verhandlung am 9. 9. 2014 wurde vom Gericht beschlossen, dass ein Unfallrekonstruktionsgutachten durch einen Sachverständigen erstellt werden soll. Der Gutachtenauftrag selbst wurde dem Sachverständigen erst am 11. 11. 2013, also erst zwei Monate nach der Verhandlung, erteilt. Das Gericht setzte dem Sachverständigen eine Frist für die Erstellung des Gutachtens bis zum 14. 2. 2014.
Man kann erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass derartige Fristen von den Gutachtern nicht eingehalten werden und dass das Gericht von den ihm zur Verfügung stehenden Sanktionsmöglichkeiten gegen einen Gutachter (Verhängung eines Ordnungsgeldes) keinen Gebrauch macht. Auch in diesem Fall war das Gutachten am 14. 2. 2014 nicht fertig, der Gutachter hatte die Fahrzeuge bis zu diesem Tag nicht einmal besichtigt. Die gemeinsame Besichtigung der Unfallfahrzeuge in Gegenwart der Parteien und deren Rechtsanwälten fand schließlich am 20. 2. 2014 statt. Der Sachverständige erklärte im Anschluss an die Besichtigung, das Gutachten werde voraussichtlich Anfang Mai 2014 vorliegen. Mitte Mai teilte der Sachverständige mit, das Gutachten würde bis Anfang Juni 2014 fertiggestellt werden, immerhin entschuldigte er sich für die Verzögerung.
Bei mir ist das Gutachten letztlich am 2. Juli 2014 eingegangen.
Nun ist es natürlich so, dass die Prozessparteien Gelegenheit haben, sich mit dem Gutachten auseinanderzusetzen und dazu Stellung zu nehmen. Es mutet angesichts des vorstehend beschriebenen Zeitablaufs schon merkwürdig an, dass die Rechtsanwälte dann nur 2 Wochen Zeit haben, sich mit einem 17-seitigen Gutachten, in dem Bezug genommen wird auf 36 Anlagen, zu beschäftigen, mit dem Mandanten Rücksprache zu nehmen und einen Schriftsatz an das Gericht zu schicken. Aber im Interesse des zügigen Fortgangs des Verfahrens wird der Rechtsanwalt in der Regel diese Frist einhalten, so auch in diesem Fall.
Daraufhin teilte das Gericht mit, dass ein Termin für eine weitere mündliche Verhandlung über das Gutachten frühestens im März 2015 stattfinden könne.
Zwei Probleme könnten also bei der Erledigung der landgerichtlichen Verfahren eine Rolle spielen:
- Eine mögliche Überlastung der Gerichte.
- Die Verzögerung der Prozesse bei notwendiger Einholung von Sachverständigengutachten.
Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), Art. 2 Abs. 1 GG (Grundgesetz) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG sollen einen wirkungsvollen Rechtsschutz gewährleisten und verpflichten damit zugleich, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.
Erschreckende gut 25 Prozent der erstinstanzlichen landgerichtlichen Urteile werden erst nach mehr als zwei Jahren gesprochen.
Liegt es an der Überlastung der Landgerichte?
Nein, denn Baden-Württemberg, das bundesweit die geringste Verfahrensdauer verzeichnet, hat ca. 18 Richter pro 100.000 Einwohner und Schleswig-Holstein, das auf eine wesentlich längere durchschnittliche Verfahrensdauer kommt, hat mehr als doppelt so viele Richter auf 100.000 Einwohner (Statistisches Jahrbuch 2012, S. 304).*
Nein, es ist viel banaler, wie eine vom Oberlandesgericht Hamm durchgeführte Ursachenforschung, an der sich vier Oberlandesgerichte beteiligt haben, ergeben hat (Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm (Hrsg) Langdauernde Zivilverfahren, 2013).
Danach werden die Verfahrensdauern beeinflusst durch:
- die Höhe des Streitwerts
- die Blattzahl der Akten
- Verfahrensbesonderheiten (z.B. Widerklage)
- eine Mehrheit von Klägern oder Beklagten
- Anwaltswechsel
- die Zahl der Zeugen
- Terminverlegungen
- den Verfahrensgegenstand
In jedem zweiten der langdauernden landgerichtlichen Verfahren findet eine Beweiserhebung mit Hilfe eines Sachverständigen statt. In 75 % der Fälle wurden die von den Gerichten gesetzten Fristen für die Erstellung des Sachverständigengutachtens um durchschnittlich 4,9 Monate überzogen. Nur in der Hälfte dieser Fälle folgte auf die Fristüberschreitung eine gerichtliche Reaktion und dann auch nur in Form einer Sachstandsanfrage.
Mit der gesamten Problematik befasst sich der diesjährige Juristentag in Hannover. Prof. Dr. Gralf-Peter Callies hat hierzu ein Gutachten verfasst und verschiedene Thesen aufgestellt, wie den Problemen beizukommen sein könnte, und die zu diskutieren sind, s. Juristentag, Prozessrecht, Der Richter im Zivilprozess –Sind ZPO und GVG noch zeitgemäß?, Thesen zum Gutachten von Prof. Dr. Gralf-Peter Callies, Bremen.
Hier eine Auswahl:
- Bei den Landgerichten sind Spezialkammern für komplexe Verfahren, z.B. für Bausachen, Arzthaftungssachen, Verkehrsunfallsachen, Anlegerschutzverfahren etc. einzurichten.
- Die Richterbank ist dabei interdisziplinär mit ehrenamtlichen Richtern (Bausachverständige, Amtsärzte, Steuerberater etc.) oder Fachrichtern zu ergänzen.
- Die Zuständigkeiten dieser Kammern sind im Hinblick auf deren Auslastung ggfs. auch über Ländergrenzen hinweg zu konzentrieren.
- Ein Richter, der wegen Überlastung oder aus sonstigen Gründen eine Erledigung von einem oder mehreren Verfahren in angemessener Zeit für unwahrscheinlich hält, hat dies dem Präsidium des Gerichts unverzüglich anzuzeigen, damit das Präsidium Maßnahmen ergreifen kann, die die Erledigung der betroffenen Verfahren in angemessener Zeit ermöglichen.
Ferner fordert Prof. Callies u.a.:
Im DRiG (Deutsches Richtergesetz) wird eine Fortbildungspflicht für Richter in fachlicher (Spezialisierung(, methodischer (Intervision etc.) und technischer (elektronische Akte etc.) Hinsicht verankert.
Die Vorschriften der ZPO (Zivilprozessordnung) zum Sachverständigenbeweis sind mit dem Ziel zu reformieren, das hoheitliche Zwangsverhältnis zwischen Gericht und Sachverständigen durch ein anreizgesteuertes Marktverhältnis zu ersetzen. Es ist eine bundesweite, gerichtinterne Sachverständigendatenbank mit Bewertungen und Erfahrungsberichten einzurichten.
Man darf gespannt sein………
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