Kippt die Vorratsdatenspeicherung beim Bundesverfassungsgericht?
Der Eilantrag gegen die Vorratsdatenspeicherung ist im einstweiligen Verfahren als zulässig anerkannt worden, allerdings nur teilweise. Demnach ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, dass die Vorratsdatenspeicherung nach $ 113a TKG und der Abruf von Vorratsdaten bei Katalogdaten gemäß $ 100a Abs. 2 StPO einstweilen zulässig sei.
Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. Dezember 2007 dient unter anderem dazu, die Richtlinie der Europäischen Union über die Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht umzusetzen. Zu diesem Zweck enthält sein Art. 2 Änderungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG). Gegenstand der dagegen erhobenen Verfassungsbeschwerde sind die neu geschaffenen $$ 113a, 113b TKG. $ 113a TKG regelt die Speicherungspflicht für Daten. Anbieter von Telekommunikationsdiensten werden verpflichtet, bestimmte Verkehrs- und Standortdaten, die bei der Nutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet anfallen, für einen Zeitraum von sechs Monaten zu speichern. $ 113b TKG regelt die Verwendung der gespeicherten Daten. Danach kann der bevorratete Datenbestand zum Zwecke der Verfolgung von Straftaten, der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und der Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben abgerufen werden. Die Norm enthält keine eigenständige Abrufbefugnis, sie setzt vielmehr gesonderte gesetzliche Bestimmungen über einen Datenabruf unter Bezugnahme auf $ 113a TKG voraus. Bislang nimmt lediglich die Strafprozessordnung ($ 100g StPO) auf $ 113a TKG Bezug und ermöglicht zum Zweck der Strafverfolgung ein Auskunftsersuchen über solche Telekommunikations-Verkehrsdaten, die ausschließlich aufgrund der in $ 113a TKG geregelten Bevorratungspflicht gespeichert sind.
Der Antrag der Beschwerdeführer, $$ 113a, 113b TKG im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Kraft zu setzen, hatte aber nur teilweise Erfolg. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts ließ die Anwendung von $ 113b TKG, soweit er die Verwendung der gespeicherten Daten zum Zweck der Strafverfolgung regelt, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nur modifiziert zu. Aufgrund eines Abrufersuchens einer Strafverfolgungsbehörde hat der Anbieter von Telekommunikationsdiensten die verlangten Daten zwar zu erheben und zu speichern. Sie sind jedoch nur dann an die Strafverfolgungsbehörde zu übermitteln, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des $ 100a
Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre ($ 100a Abs. 1 StPO). In den übrigen Fällen ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen. Zugleich wurde der Bundesregierung aufgegeben, dem Bundesverfassungsgericht zum 1. September 2008 über die praktischen Auswirkungen der Datenspeicherungen und der vorliegenden einstweiligen Anordnung zu berichten. Im Übrigen lehnte der Erste Senat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung ab; insbesondere lehnte er die Aussetzung des Vollzugs von $ 113a TKG, der allein die Speicherungspflicht für Daten regelt, ab.
Dazu das Bundesverfassungsgericht
Eine Aussetzung des Vollzugs von $ 113a TKG (Speicherungspflicht) scheidet aus. Ein besonders schwerwiegender und irreparabler Nachteil, der es rechtfertigen könnte, den Vollzug der Norm ausnahmsweise im Wege einer einstweiligen Anordnung auszusetzen, liegt in der Datenspeicherung allein nicht. Zwar kann die umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann für staatliche Zwecke, die sich zum Zeitpunkt der Speicherung der Daten nicht im Einzelnen absehen lassen, einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken. Der in der Vorratsdatenspeicherung für den Einzelnen liegende Nachteil für seine Freiheit und Privatheit verdichtet und konkretisiert sich jedoch erst durch einen Abruf seiner Daten zu einer möglicherweise irreparablen individuellen Beeinträchtigung.
Wie dargestellt, schränkt das Gericht aber die Nutzung ein und will diese nur bei schweren Straftaten ermöglichen:
Die Übermittlung und Nutzung der von einem Diensteanbieter auf ein Abrufersuchen hin erhobenen Daten sind allerdings in den Fällen nicht zu beschränken, in denen Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des $ 100a Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre ($ 100a Abs. 1 StPO). Im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren ist von der Einschätzung des Gesetzgebers auszugehen, nach der die in $ 100a Abs. 2 StPO genannten Straftaten so schwer wiegen, dass sie auch gewichtige Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG rechtfertigen können. In diesen Fällen hat das öffentliche Strafverfolgungsinteresse daher grundsätzlich ein derartiges wicht, dass eine Verzögerung durch eine einstweilige A nordnung nicht hingenommen werden kann. Dabei ist im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zu klären, ob der deutsche Gesetzgeber durch die Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet war, sämtliche der in $ 100a Abs. 2 StPO aufgeführten Straftaten in die Abrufermächtigung des $ 100g StPO einzubeziehen.
Und abschließend dazu
Für eine einstweilige Anordnung über die Datennutzung zu präventiven Zwecken ($113b Satz 1 Nr. 2 und 3 TKG) besteht kein Anlass, da bislang keine fachrechtlichen Abrufermächtigungen bestehen, die ausdrücklich auf $ 113a TKG Bezug nehmen.
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