Rechtssystem Europa

Leitfaden zu Menschenrechten für Internetnutzer feiert 1. Geburtstag

Vor knapp einem Jahr, am 16. April 2014, haben die 47 Mitgliedsstaaten des Europarates gemeinsam den „Leitfaden zu Menschenrechten für Internetnutzer“ verabschiedet. Darin sollte den Bürgern in sehr einfacher Form veranschaulicht werden, welche Rechte sie im Internet aus Sicht der Menschenrechte haben. Es ging also nicht darum, für die Bürger neue Rechte zu schaffen, vielmehr soll der Leitfaden eine Art Auslegungshandbuch für die Anwendung der in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bereits verbindlich festgelegten Normen auf dem Gebiet des Mediums Internet und seiner Nutzung sein.

Im Vergleich zur EMRK, die im November ihr 65-jähriges Bestehen feiert, befindet sich der Leitfaden noch in den Kinderschuhen. Von daher mag es nicht verwundern, dass man bisher wohl vergeblich nach Spuren sucht, die der Leitfaden in der digitalen Welt bereits hinterlassen haben könnte. Trotzdem muss man schon jetzt befürchten, dass diese eigentlich gute Idee des Europarates nie eine echte Chance bekommen wird sich zu bewähren. Dabei sind insbesondere drei wesentliche Faktoren zu bemängeln, die schon jetzt eine ernsthafte Anwendung des Leitfadens erschweren:

1. Der Leitfaden ist weitestgehend unbekannt

Nur wer seine Rechte kennt, kann diese auch gegebenenfalls einfordern. Erschreckender Weise gibt es aber kaum Internetnutzer, die überhaupt von der Existenz des Leitfadens wissen und nur ein verschwindend geringer Bruchteil kennt wenigstens Teile des Inhalts. In der Praxis bedeutet dies, dass mögliche Verletzungen der im Leitfaden benannten Rechte schon allein deshalb nicht verfolgt werden, weil der einzelne Betroffene gar nicht ausreichend über seine Rechte und den im Leitfaden verankerten Rechtsbehelfen gegen die jeweilige Verletzung informiert ist.

2. Mitgliedsstaaten des Europarates missachten den Leitfaden

Es ist auch wenig hilfreich, wenn die Mitgliedsstaaten des Europarates den von ihnen erlassenen Leitfaden und die darin enthaltenen Ansprüche der Internetnutzer sprichwörtlich mit Füßen treten. So ließ die türkische Regierung (die Türkei ist seit 1949 Mitglied des Europarates) im Januar dieses Jahres verschiedene Internetseiten sperren, was ein offensichtlicher Verstoß gegen den im Leitfaden festgehaltenen Grundsatz der Meinungs- und Informationsfreiheit darstellt. Auch in Russland werden die Rechte der Bürger aus dem Leitfaden in rechtswidriger Weise beschnitten, wenn die dortige Regierung den Zugang zu den Internetseiten bekannter Regimekritiker einfach sperren lässt. Trotzdem hatten derartige Handlungen für die jeweiligen Staaten in der Vergangenheit keine negativen Konsequenzen oder gar Sanktionen zur Folge.

3. Mangelnder Anwendungswille innerhalb der Rechtsprechung

In letzter Konsequenz wird der Leitfaden aber auch nur unzureichend in der europäischen Rechtsprechung angewandt. Nur wenige Wochen nach der Verabschiedung des Leitfadens hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 13. Mai 2014 die Möglichkeit, ein deutliches Zeichen für die Rechte der Internetnutzer zu setzen und entschied sich dagegen. In seiner Entscheidung gegen den Suchmaschinenanbieter „Google“ stellte der Gerichtshof fest, dass das Persönlichkeitsrecht eines Menschen gegenüber dem Recht der Internetnutzer auf Meinungs- und Informationsfreiheit überwiege. Das „Recht auf Vergessen“ im Internet war geboren.

Damit die Idee von der Anwendung der Menschenrechte auch für Internetnutzer langfristig ein Erfolg werden kann, muss der Europarat zwei wesentliche Dinge zukünftig in den Griff bekommen: Die Information der Bürger über ihre Rechte muss konsequenter umgesetzt werden und die Mitgliedsstaaten müssen ihrerseits stärker zur Einhaltung der verabschiedeten Regelungen angehalten werden. Die Anpassung der Rechtsprechung wird dagegen eher eine Frage der Zeit sein. Spätestens wenn es eine Generation von Richtern am EGMR gibt, die schon mit dem Internet groß geworden ist und die digitale Welt nicht als unverständliches Teufelszeug ansieht, werden die Rechte der Internetnutzer auch dort ernst genommen werden.

Wer nicht hören will muss fühlen

Manchmal sind die Gegner unserer Mandanten schwer zu verstehen. Erst wird sich abfällig und rufschädigend über unseren Mandanten ausgelassen, dann reagiert aber niemand auf unsere sehr kulante Abmahnung. Dann eben nicht. Wird eben das Gericht uns in den nächsten Tagen ein Schreiben ausstellen, das wir dann dem Gegner per Gerichtsvollzieher zustellen: Auch einstweilige Verfügung genannt.

Mal sehen, ob sich dann jemand bewegt. Dabei wollten wir es wirklich gütlich regeln, aber das scheint nicht allen Leuten zu gefallen. Totstellen funktioniert halt nicht und das unzureichende Impressum, welche für mich bisher eher unwichtig war, fällt dem Gegner auch noch auf die Füße.

Fotos und Infos über ehemaligen Stasi-IM im Internet nicht rechtswidrig

Ein Stasi-IMB muss es sich gefallen lassen, dass im Zusammenhang mit einem historischen Ereignis durch entsprechendes Bildmaterial und auch unter Namensnennung über ihn berichtet wird. Das entschied in einem heute verkündeten Urteil die 9. Zivilkammer des Landgerichts München I.

Der Kläger war 1981 vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR unter Androhung eines Ermittlungsverfahrens sowie einer Gefängnisstrafe wegen seiner Kenntnis von illegalen Antiquitätenverkäufen nach Westberlin als informeller Mitarbeiter (IM) angeworben worden. Seit 1989 war der Kläger gar als „IMB“ tätig, wurde also über die Informationsbeschaffung hinaus als einer von nur wenigen IM zur Zersetzung, Zerschlagung oder Zurückdrängung von „Feinden“ eingesetzt.

Der Beklagte berichtet auf seiner Internetseite über die Aktivitäten der Staatssicherheit in und um Erfurt. Dabei ist auch ein Foto veröffentlicht, auf dem ein Militärstaatsanwalt im Dezember 1989 Räumlichkeiten des Ministeriums für Staatssicherheit versiegelt. Auf diesem Foto ist auch der Kläger zu sehen. Neben dem Bild stehen Namen und Funktion (IMB) des Klägers. Dergleichen wollte der Kläger dem Beklagten verbieten lassen. Begründung: Da er im Staatsapparat der DDR weder ein Amt bekleidet noch eine sonstige Position des öffentlichen Lebens ausgefüllt habe, müsse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter seinen berechtigten Interessen zurücktreten.

Das sah die 9. Zivilkammer anders: Es handelt sich – so befanden die Richter – um ein wahrhaft historische Bilddokument, auf dem der Kläger da zu sehen ist. Als „IMB“ – so heißt es in dem Urteil weiter – hebt sich der Kläger durchaus von anderen informellen Mitarbeitern oder gar der übrigen Bevölkerung der DDR ab und ist insoweit sehr wohl exponiert.

Vor diesem Hintergrund muss das grundsätzlich anerkennenswerte Interesse des Klägers an Anonymität … hinter die durch die allgemeine Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit geschützten Interessen des Beklagten zurücktreten. Die Aufarbeitung historischer Ereignisse und die Ermittlung der geschichtlichen Wahrheit, wie sie unabdingbare Voraussetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und eines jeden freien und pluralistischen Gemeinwesens sind, würden in nicht hinnehmbarem Maße zurückgedrängt, wenn über historische und geschichtlich bedeutsame Ereignisse nicht voll umfänglich berichtet werden dürfte. Dies schließt die Veröffentlichung von Bildern und – soweit Personen sprichwörtlich Geschichte machen – Bildnissen mit ein. Im vorliegenden Fall ist es gerade auch nicht so, dass die Person des Klägers für die historische Aufarbeitung irrelevant wäre, so dass sein Recht auf Anonymität die Publikationsinteressen des Beklagten und die Informationsinteressen der Allgemeinheit überwiegen würde: Gerade die Besonderheit des Augenblicks und die „Funktion“, die der Kläger seinerzeit eingenommen hatte, lassen die Veröffentlichung seines Bildnisses als gerechtfertigt erscheinen.

Gleiches gilt nach dem Urteil auch für die Namensnennung: Man darf das historische Foto also nicht nur zeigen, sondern auch sagen, wer und was darauf zu sehen ist.

Die rechtliche Bewertung von Markenrecht und Fanseiten

Gerade bin ich auf einen schönen ausführlichen Artikel des Kollegen Dennis Breuer gestossen. Sehr lesenswert, da der Kollege nicht nur die juristische Seite betrachtet, sondern am Ende auch den Marketingaspekt beleuchtet.

Aktuell haben wir in der Kanzlei auch einen Fall, der sich um eine Abmahnung und eine Fanseite handelt, auch wenn es dabei um Persönlichkeitsrecht und Videos geht, die dieser Promi nicht mochte. DSDS-news.de ist also mit seinem Problem nicht allein und Fans können schnell in eine Kostenfalle laufen, wenn sie – um ihren angebeteten Star zu unterstützen, Fanseiten aufsetzen.

Links und Persönlichkeitsverletzung

Einmal ein kurzer Fall zur Diskussionsanregung:

X erstellt ein Video, welches potentiell gegen Persönlichkeitsrechte verstösst. Dafür kassiert X eine einstweilige Verfügung.

A betreibt eine Webseite und verlinkt auf dieses Video ohne es dabei einzubetten oder selbst anzubieten. Begeht A auch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung?

Mir schwebt gerade eine Mischung aus Paperboy, Heise.de und weiteren Urteilen im Kopf herum. Meinungen? Ideen?

Bild.de haftet für Googleergebnisse auf eigener Seite

Ein interessantes Urteil erreicht uns vom Landgericht Berlin (Az.: 27 O 927/08). Es stammt vom 13. Januaur diesen Jahres und beschäftigt sich mit unser aller Lieblingszeitschrift, BILD. Genauer genommen beschäftigte sich das Gericht mit der Onlineausgabe Bild.de, auf der ein Bericht mit rechtswidrigen Äußerungen veröffentlicht wurde. Auf die außergerichtliche Abmahnung hin unterschrieb die Beklagte die Unterlassungserklärung.

Damit hatte die Sache aber kein Ende, denn auf Bild.de wurden Suchergebnisse eingebunden, die von Google stammen, und bei denen ausgesucht werden konnte, ob das ganze Internet oder nur Bild.de durchsucht werden soll. Es kam wie es kommen mußte: Mit Hilfe dieser Suchergebnisse konnte man Teile des gelöschten Artikels finden. Der Klägerin gefiel dies natürlich nicht und nahm Bild.de erneut auf Unterlassung in Anspruch.

Zu Recht, wie das Landgericht Berlin urteilte, denn es hätte auch die auch die konkrete URL-Adresse entfernt werden müssen, das es bei Bild.de zu ihrer Dispotion als
Domaininhaberin gestanden habe, welche Inhalte Webseiten veröffentlicht würden und welche nicht. Im Zweifel wäre sie laut Landgericht Berlin sogar verpflichtet gewesen, Google über diverse Informationskanäle zu informieren, dass die Suchergebnisse aus den Trefferlisten entfernt werden.

Ob dies dann auch für alle anderen 1000+ Suchmachinen im Internet gilt bleibt fraglich….